Saisonstart der Kulturhalle Süßen
Der rätselhafte Schimmer einer besonderen Epoche
Konzert Robert Nippoldt und „Trio Größenwahn“ bieten zum Saisonstart in Süßen eine Zeitreise in die wilden 20er Jahre.
Süßen. Was in der Süßener Kulturhalle abging, das hatten die Gäste alle noch nicht erlebt: Eintauchen in die Zeit zwischen den Weltkriegen in Deutschland. Sie ließen sich mitreißen durch eine perfekte Symbiose von Ton, Schauspiel, Malerei und Scherenschnitt. In einer „Poetischen Amüsierschau“ machten vier Akteure die Roaring Twenties auf einmalige Weise lebendig.
Im Zentrum stand Robert Nippoldt; was er ohne modernen Schnickschnack mit großer Perfektion und verblüffender Originalität an die Wand projizierte, das gibt es sonst nirgends. Vom Schreibtisch aus beherrscht er das Live – Zeichnen, Scherenschnitte, Animation und vieles mehr, was man so noch nicht kannte. Die restlos begeisterten Zuschauerinnen und Zuschauer ließen sich auf den „rätselhaften Schimmer“ einer grandiosen Epoche ein.
Für passenden Klang, Rhythmus, Tanz, Kabarett, Bild, zerriss sich das „Trio Größenwahn“ förmlich auf der Bühne. Mit einem riesigen Showequipment agierten sie überzeugend und man hatte das Gefühl: Es gab nichts, was sie nicht konnten. Lotta Stein (Gesang und Tanz und vieles mehr) schlüpfte in zahlreiche Rollen mit wandlungsfähiger Stimme, überzeugenden Gesten und stets in passender Kleidung.
Die Klassiker der 20er Jahre waren auch bei den beiden anderen Künstlern in besten Händen: bei dem anpassungsfähigen Christian Manchen, der am Klavier für mitreißenden Sound sorgte, und bei Christoph Kopp, der nicht nur am Kontrabass, sondern auch mit etwa 30 anderen Instrumenten die musikalische Gewürzkiste plünderte. Und dann erlebten die faszinierten Zuschauer eine einmalige (zweistündige) Geschichtsstunde, die prall gefüllt war mit Interessantem aus Alltag, Technik, Politik und Kunst.
Es würde den Rahmen sprengen, wollte man die ganze Fülle der dargestellten Lebensbereiche erwähnen und würdigen: Erfindung neuer Verkehrsmittel, neue, revolutionäre Kleidermode, die Absurditäten der Inflationszeit, wo ein Fahrschein noch 3 (!) Millionen Mark kostete. (Da ist für die Bahn heute noch viel Luft nach oben…). Innerhalb von wenigen Minuten rauschte das labile politische System im Zeitraffer über die Bühne. Licht und Schatten wechselten ständig; alles war gekonnt miteinander gekoppelt. Besonders witzig gelang die Darstellung der neuen Möglichkeiten im Tonfilm bis hin zur zackig klappernden Schreibmaschine.
Tempo und Neugier
Nirgends glitt die Darstellung in peinlichen Kitsch ab; wichtig war nur, was das Leben damals (wie heute) bestimmte: Tempo, Neugier, und die Suche nach dem Glück. Das alles wird noch lang im Bewusstsein der Gäste bleiben.
Es gibt aber in der Kulturhalle am 07. Oktober um 19.30 Uhr eine Fortsetzung und Erweiterung, die hier heftig empfohlen sei: „Weiberheld – Mit Tucholsky im Bett“, ein Muss für alle Süßener Kunstfreundinnen und -freunde.